Die Geschichte von Eirlys

  • „Magie heilt. Macht verdirbt. Jugend verführt.“
    – Spruch aus dem Grünen Zirkel


    Mealys

    Eine hölzerne Schale, schlicht und flach, stand auf einem Baumstumpfe im Garten, gefüllt mit klarem Wasser, das im goldenen Scheine der sinkenden Sonne glitzerte. Mealys beugte sich darüber, betrachtete ihr Spiegelbild und verzog missmutig das Antlitz.

    Ihre Gedanken wanderten zurück über die Jahre, ja, gar Jahrzehnte, in jene Zeit, da ihre Kunst mächtig war und das Land zu heilen vermochte. Wälder, Flüsse und Wiesen erblühten unter ihrem Wirken, und mit ihren druidischen Gaben konnte sie die Gestalt wandeln, wurde zur Wölfin oder zum Hirsch – nur die Form des Bären blieb ihr verwehrt.

    Doch das eine, das sie nie zu bezwingen vermochte, war der unerbittliche Lauf der Zeit. Einst, da sie jung war und ihre Kräfte dem Wohle des Landes widmete, achtete sie nicht auf jenen stetigen, unaufhaltsamen Fluss. Wie ein undichtes Fass, aus dem Tropfen für Tropfen entweicht, schien die Zeit gering, bis sie ein ganzes Reich fortgespült hatte.

    So war es auch mit ihrer Jugend – langsam und unerbittlich ward sie in den Strömen der Jahre versenkt. Mit Unmut betrachtete sie das silbergraue Haar, die trockene Haut, die sich mit feinen Linien zu verzieren begann.

    „Fünfzig mal vier Jahreszeiten...“
    murmelte sie und ließ die Worte in das Wasser sinken.

    Dann hob sie den Blick, schaute gen Himmel, auf den dichten Wald ringsum, zur Erde unter ihren Füßen – und dann wieder in die stille Oberfläche der Schale.

    „Ich gäbe viel von meiner Kunst für jene eine Macht, die die Zeit zurückzudrehen vermag,“
    sprach sie, leise zwar, doch ihre Stimme trug noch immer jene Kraft, die einst das Land bewegte.

    Und eben jene Worte riefen eine Macht herbei, die jenseits des Irdischen weilte.
    Das Wasser kräuselte sich, und unter der Oberfläche ward ein Schleier sichtbar, in dessen Nebeln sich ein Gesicht formte.

    Eine Stimme, dünn wie der Wind, hauchte aus der Tiefe:
    „Ich kann dir die Jugend geben, Mealys.“

    Die Druidin verengte die Augen, schloss sie dann gänzlich und suchte mit ihrem inneren Blicke nach der Wahrheit dieser Erscheinung. Als sie ihn erkannte, öffnete sie ruckartig die Lider.

    „Isfahael!“ sprach sie seinen Namen aus.
    „So nennt man mich,“ erwiderte der Geist mit einer Stimme, die sich wie Nebel in ihren Geist legte.
    „Und ich kann dir geben, was du begehrst. Doch verlange ich einen Teil deiner Macht als Preis.“

    Mealys sann nach. Dann sprach sie:

    „Nimm meine Macht. Ich bin ihrer müde. Ich will nicht länger den Fesseln meiner Kunst unterliegen. Ich will frei sein. Ich will die Welt erblicken.“

    Isfahael schwieg einen langen Moment, ehe seine Stimme, weich wie Rauch, erneut erklang:

    „Du wirst die Jugend erlangen... und was von dir bleibt, wird die Welt erblicken.“

    „So sei es,“ sprach Mealys.

    Das Wasser in der Schale wurde trübe, verdichtete sich, begann zu sieden, zu leuchten wie geschmolzenes Erz. Dann brach es auf, ergoss sich über Mealys wie flüssiges Feuer.

    Sie schrie auf, als der brennende Fluss ihre Haut durchdrang. Schmerz, wie sie ihn nie zuvor gekannt hatte, fuhr durch ihr Fleisch, durch Mark und Bein, bis in den tiefsten Kern ihres Seins.

    In jener furchtbaren Pein, die ihr Bewusstsein zu verschlingen drohte, erfasste sie ein fürchterlicher Gedanke:

    Er hat mich betrogen! Dies ist keine Verwandlung – dies ist mein Ende!

    „So also schenken Dämonen ihre Gaben... durch Lügen und Schmerz. Närrin! Närrin!“

    Sie wollte rufen, wollte sich lösen, wollte den Handel rückgängig machen – doch es war zu spät.
    Ihr Körper gab nach, und das Feuer brannte noch immer in ihren Knochen.


    Als sie erwachte, ruhte der Mond über dem Garten, eine Eule rief in die Stille der Nacht. Ein Wolf stand an ihrer Seite, sog prüfend die Luft ein. Mit schwacher Hand schob Mealys ihn fort.

    „Zurück, Ilsa... ich bin wohlauf.“

    Doch das Tier wich nicht ganz, senkte nur die Ohren, und in seinen Augen lag ein Argwohn, den Mealys nicht kannte. Ilsa wedelte nicht mit dem Schweif. Sie sog erneut die Luft ein – als wittere sie eine Fremde.

    Langsam erhob sich Mealys. Die Erinnerung kehrte zurück – an das brennende Licht, an ihren Schrei.
    Sie blickte auf ihre Hände, erwartete verkohlte Überreste, geschwärzte Glieder. Doch stattdessen sah sie makellose, weiche Haut, gleich der eines jungen Mädchens.

    Zögerlich ballte sie die Finger, beugte das Handgelenk – jede Bewegung war geschmeidig, mühelos.
    In einer einzigen, fließenden Bewegung stand sie auf, und als sie die Leichtigkeit ihrer Glieder verspürte, entwich ihr ein keuchendes Lachen.

    Wer braucht Magie?! Jugend allein ist das höchste Gut!

    Doch während diese Wonne in ihr aufstieg, fiel ihr Blick auf den Boden nahe der alten Eiche.
    Die Erde war aufgerissen, als hätte etwas sie aufgewühlt, die Rinde des Baumes tränkte sich in Harz.
    Die Blumen, die sonst nur unter Mondlicht erblühten, lagen zerdrückt und sonderten eine unheilvolle Flüssigkeit ab.

    Ihr Kräuterkreis, einst mit Bedacht für Gleichgewicht und Heilung geschaffen, war entstellt – verbrannt in seiner Mitte, die Zeichen verzerrt, als hätte etwas Unheiliges sich an ihnen genährt.

    Ein unheilvolles Gefühl legte sich über Mealys’ Gemüt.
    Instinktiv suchte sie nach der Verbindung zur Erde, wollte den Puls der Natur spüren, wie sie es stets getan hatte.
    Doch... nichts. Keine Stimme, kein Flüstern. Nur Stille.

    Nein – nicht Stille.
    Die Erde ächzte. Sie stöhnte.
    Und tief darunter... lauerte etwas.


    Die Freude in Mealys’ Antlitz schwand. Ihr Atem wurde flach.

    „Was habe ich getan?!“ rief sie aus, Tränen traten in ihre Augen.

    Und obgleich sie nun keine Magie mehr besaß, war sie ihrer nicht vonnöten, um das Leid des Landes zu fühlen – des Landes, das Isfahael mit dunklem Hunger entweiht hatte.

    „Törichte, eigensüchtige Frau...“ murmelte sie.

    Ilsa, die all dies beobachtet hatte, stieß ein leises, klagendes Heulen aus.
    Auch sie spürte es – das Leid, das unter ihren Pfoten lag.

    Mealys hob den Kopf.

    „Komm, Ilsa. Wir müssen fort von hier.“

    Doch der Wolf sah sie ein letztes Mal an, dann wandte er sich ab und verschwand lautlos im düsteren Walde.

    „Nein! Verlass mich nicht auch noch! Ilsa! Kehre um!“

    Doch das Tier blieb verschwunden. Mealys stand allein.

    Einen Moment verharrte sie, dann atmete sie tief ein, hob die Hände und wischte sich über das Gesicht.

    „Es ist geschehen und nicht mehr zu ändern. Eine Närrin bin ich, das ist wohl wahr.
    Doch immerhin... habe ich nun eine Ausrede, mich wie eine junge Frau zu verhalten.“

    Ein bitteres Lächeln zuckte über ihre Lippen.
    Dann wandte sie sich nach Westen. Fort von hier – in das Land Merrie.

    Dort kannte niemand den Namen Mealys.
    Dort würde sie nur noch Eirlys sein – eine junge Jägerin auf Wanderschaft.

    Edited 2 times, last by Mealys (March 25, 2025 at 6:19 PM).

Participate now!

Don’t have an account yet? Register yourself now and be a part of our community!